Helmut F. Kaplan

Manche Menschen legen in Essensangelegenheiten einen geradezu religiösen Eifer an den Tag. Dieses Phänomen ist auch in der Tierrechtsszene zu beobachten. Hier herrscht die Meinung vor, wer nicht hundertprozentig vegan lebe, könne es gleich ganz sein lassen. Die Forderung richtet sich prinzipiell an alle Menschen, besonders kritisiert werden allerdings Abweichler in den eigenen Reihen: Wer „zugibt“, vielleicht nur zu 99 Prozent vegan zu leben, wird gnadenlos verfolgt.

So übertrieben diese Konsequenzforderung in den Augen „normaler Fleischesser“ auch erscheinen mag – prinzipiell ist sie berechtigt: Schließlich handelt es sich um eine ethische Forderung und in der Ethik folgt vieles diesem Alles-oder-nichts-Muster: Kannibalismus, Mord, Folter und Vergewaltigung sind ebenfalls „hundertprozentig verboten“.

Allerdings kann man diesen Veganern dennoch Irrationalität vorwerfen – wenn auch aus anderen Gründen: Wer die Veganisierung voranbringen will, sollte sich sinnvollerweise primär an die Mehrheit der Fleischesser wenden anstatt an die Minderheit derer, die ohnehin schon „fast vegan“ sind. Außerdem kann man diesen Veganern irrationale Egozentrik vorwerfen (weil ihre Behauptung, vegan zu leben sei ganz einfach, keineswegs für alle Menschen zutrifft) sowie irrationale Boykott-Gläubigkeit (weil sie glauben, der persönliche Boykott aller nicht-veganen Geschäfte, Restaurants usw. sei zielführend). Zudem gibt es neben dem Verzehr von nicht-veganem Essen noch viele andere ebenfalls tierschädigende Praktiken oder Bereiche, etwa Autofahren (Überfahren von Tieren, Aufprall an der Windschutzscheibe) oder den gesamten medizinischen Bereich (der untrennbar mit Tierversuchen verbunden ist) und hier agieren diese Veganer ungleich „großzügiger“ als beim Essen, hier genügen viel geringere „Konsequenzgrade“ oder spielen gar keine Rolle.

Der Punkt ist: Wenn man Veganismus nicht irrational oder „religiös“ praktizieren will, sondern rational im Sinne einer Tierrechtsethik und im Dienste der Tiere, dann gibt es nur einen vernünftigen Orientierungspunkt bzw. „Konsequenzmaßstab“: Tierrechte! Die Frage lautet dann einfach: Welches Verhalten dient der Verwirklichung von Tierrechten? Welches Verhalten dient der Verwirklichung einer Welt, in der Tiere ein ihren Interessen gemäßes Leben führen können? Eine solche Welt ist dann gewiß eine vegane Welt, aber auch eine Welt, in der viele andere tierschädigende Dinge nicht mehr stattfinden. Die Veganisierung im Sinne veganen Essens ist lediglich ein Teil der anzustrebenden Änderungen.

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Helmut F. Kaplan (22.04.2017; 12:15 Uhr)
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Veröffentlicht von „der fellbeißer“© (www.fellbeisser.net/news/) am 22.04.2017
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