Urteil vom Verfassungsgericht Minden ist ein verfassungswidriger Freibrief zur Massentötung männlicher Eintagsküken
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Erna-Graff-Stiftung für Tierschutz und ihr Vorsitzender, Rechtsanwalt Dr. Eisenhart von Loeper, engagieren sich gegen die tierethisch unerträgliche Massentötung von jährlich 50 Millionen männlichen Eintagsküken.
Anbei finden Sie den rechtlich begründeten Beitrag unseres Vorsitzenden zu diesem Thema. Herr von Loeper hat seit seinem 1979 erstellten grundlegenden Rechtsgutachten zur Nutztierhaltung und speziell zur Käfighaltung von Legehennen (erschienen im Verlag Birkhäuser zusammen mit verhaltenswissenschaftlichen Gutachten) stetig zur tierethischen Diskussion und rechtlichen Aufarbeitung bis hin zu der anliegend zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1999 beigetragen, die einen Meilenstein für die tierfreundliche Anwendung des Tierschutzgesetzes insgesamt gesetzt hat. Er hat auch 1990 die Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz als damaliges Mitglied der Tierschutzkommission beim Bundeslandwirtschaftsminister initiiert und als Sachverständiger im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages gefördert, bis sie schließlich im Jahre 2002 mit Hilfe vieler anderer und einer starken Bürgerbewegung gelang. Die Auswirkungen dieser grundlegenden Aufwertung des Tierschutzes in den Rang der Verfassung sind auch für den vom Verwaltungsgericht Minden nicht abschließend entschiedenen Fall bedeutsam.
Pressemitteilung: Verfassungswidriger Freibrief zur Massentötung männlicher Eintagsküken
Mit einem jetzt bekannt gewordenen Urteil vom 30. Januar 2015 hat das Verwaltungsgericht Minden (VG Minden) das Verbot der Massentötung männlicher Eintagsküken ausgehebelt, das der nordrhein-westfälische Landwirtschaftsminister Johannes Remmel (Grüne) per Erlass gegenüber den Kreisordnungsbehörden erwirkt hatte. Das Gericht hält das Tötungsverbot wegen der wirtschaftlichen Auswirkungen für die Betreiber und deshalb für rechtsunwirksam, weil eine solche Entscheidung zu Lasten der Berufsfreiheit von Tierhaltern mit Brütereibetrieben nur durch ein bisher fehlendes Spezialgesetz zulässig sei.
Dieses Urteil darf darf keinen Bestand haben. Denn es missachtet das Verfassungsprinzip, „Tiere in ihrer Mitgeschöpflichkeit zu achten“, wie es in der amtlichen Begründung zur Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz verbindlich versprochen wurde. Eine Praxis, die dennoch jährlich 50 Millionen männliche Eintagsküken zum Abfallprodukt entwertet, bricht den staatlichen Schutzauftrag für Tiere und das strafrechtliche Tötungsverbot, das für alle Wirbeltiere bei fehlendem „vernünftigen Grund“ zwingend Geltung beansprucht. Damit wird zugleich dem ökonomischen Profitinteresse Vorrang gegeben vor dem Mitgefühl der Menschen für fühlende Tiere und dem Schutz der Schwächeren insgesamt schwer geschadet.
Längst ist in der Fachliteratur, im Tierschutzbericht der Bundesregierung und zunehmend in der politischen Diskussion anerkannt, dass die Massentötung männlicher Eintagsküken der gesetzlichen Tierschutzethik diametral widerspricht. Zwar sind sich das VG Minden und die Landesregierungen von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen einig darin, dass der Bundesgesetzgeber eine spezielle Regelung treffen sollte, um allgemeinverbindlich das Verbot der allein wirtschaftlich bedingten Tötung von Eintagsküken durchzusetzen. Entgegen dem Mindener Verwaltungsgericht kann dies aber nicht der einzige Weg sein. NRW-Agrarminister Remmel hat zu Recht angekündigt, gegen das Urteil des VG Minden Berufung einzulegen, weil es die Wertschätzung für das Tier als fühlendes Leben gebietet und weil dieser Rechtsweg wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen ist.
Das VG Minden beruft sich auch zu Unrecht auf das klassische „Totschlag-Argument“, das Tötungsverbot der Eintagsküken werde eventuell zu einer bloßen Verlagerung der tierwidrigen Praxis in andere Bundesländer oder andere europäische Länder führen. Im Ergebnis ließe sich mit dieser These jedes schwere Unrecht legitimieren, solange es keine europäische oder gar weltweite Regelung gäbe. Damit wird verkannt, dass jede tierfreundliche Handlung bereits einen Gewinn an Wertschätzung für fühlendes Leben enthält und Wirkung erzeugt, die nicht auf den Sankt Nimmerleinstag zu verschieben ist. Darauf muss es ankommen.
Auch ist das strafrechtliche Verbot der Tötung von Wirbeltieren ohne „vernünftigen Grund“ (§ 17 Nr. 1 TierSchG) als strafrechtliche Spezialregelung der Tötungsfrage zu verstehen, die angesichts der Vielgestaltigkeit des Lebens als hinreichend bestimmt anerkannt ist und die prinzipiell auch Eingriffe in die freie Berufswahl rechtfertigt. Das gilt verstärkt seit der im Jahre 2002 erfolgten verfassungsrechtlichen Anerkennung der Ethik der Mitgeschöpflichkeit für Tiere. Das VG Minden übersieht ferner, dass eine strafrechtliche Verurteilung des Tierhalters bisher nicht an der strafrechtlichen Verbotswidrigkeit der Tötung von Eintagsküken, sondern nur daran gescheitert ist, dass sich der Tierhalter wegen der seither nicht angefochtenen Praxis auf einen sog. Verbotsirrtum berufen konnte. Ist die Verbotswidrigkeit geklärt, greift dieser Einwand nicht mehr. Sind aber derartige strafrechtliche Schranken des Handelns zulässig, müssen sie aufgrund der Einheit der Rechtsordnung auch im Verwaltungsrecht anerkannt werden.
Vor 35 Jahren bestand eine ähnliche Lage bezüglich der Haltung von Legehennen in Käfigen. Die Praxis galt zunächst jahrzehntelang trotz vielfacher Kritik als rechtens, zumal die Großagrarier damit enorm verdienten und politischen Einfluss hatten. Interdisziplinäre Fachwissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die öffentliche Meinung und zunehmende Sensibilität, Tierschutzverbände, Bürgerbewegungen, politische Vorreiter und schließlich das Bundesverfassungsgericht (1999) haben den Wandel bei gleichlautendem Gesetz herbeigeführt. Das sollte umso mehr jetzt für die Überwindung der Massentötung von männlichen Eintagsküken gelten, nachdem seit 2002 die Achtung der Empfindungsfähigkeit und der Mitgeschöpflichkeit von Tieren den höchsten Rang des grundgesetzlichen Schutzes erhalten hat.
12.02.2015
Dr. Eisenhart von Loeper
Mit freundlichen Grüßen,
Diana Gevers
Leiterin der Geschäftsstelle
Erna-Graff-Stiftung für Tierschutz Berlin
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Diana Gevers / Erna-Graff-Stiftung für Tierschutz (12.02.2015; 15:19 Uhr)
gevers@erna-graff-stiftung.de
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Veröffentlicht von „der fellbeißer“© (www.fellbeisser.net/news/) am 12.02.2015
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