Sehr geehrte Damen und Herren,
die bevorstehenden Weihnachtszirkus-Gastspiele in Wiesbaden und Frankfurt, insbesondere die angekündigten Auftritte des Raubtierdompteurs Christian Walliser, haben mich dazu inspiriert, die folgenden Gedanken über die Einstellung unserer Gesellschaft zu Wildtierdressuren im Zirkus und in Delphinarien zu formulieren:
Auch der Dompteur hat ein Recht auf den Tod
von Dennis Wilhelm
Über die Weihnachtszeit gastieren auch dieses Jahr wieder in Wiesbaden und Frankfurt die Weihnachtszirkusse. Mit dabei sind u.a. jeweils eine Nummer mit Raubtieren. Es scheint als wollten sich weder die Zirkusse noch die Besucher den klassischen Zirkus mit seinen Wildtierdressuren nehmen lassen. Auch wenn die öffentliche Diskussion derzeit ein Bild suggeriert, als hätten wir es mit einem antiquierten Kulturgut zu tun, scheint mir das Interesse an dieser Begegnung mit dem wilden Tier ungebrochen.
Das gilt übrigens nicht nur für den Zirkus, wo z.B. beim letztjährigen Weihnachtsgastspiel des Circus Carl Busch in Frankfurt die Tierlehrerin Carmen Zander von einem begeisterten Publikum gefeiert worden ist. Nein, dies gilt ebenso für die nicht minder kritisierten Delphinarien, z.B. im portugiesischen Albufeira. Hier sind mir dieses Jahr sofort die vielen englischsprachigen Touristen aufgefallen und das, obwohl es in ganz Großbritannien kein einziges Delphinarium mehr gibt.
Wer und v.a. was ist es also, mit dem wir es hier zu tun haben? Dieses Phänomen einer vermeintlichen gesellschaftlichen Einheitlichkeit, die Behauptung einer angeblich unumkehrbaren gesellschaftlichen Richtung, die es verdienen soll, dass sich ihr alle Andersdenkenden fügen, dieses Verständnis von Moralität, bei dem die Frage danach, was ethisch legitim ist, bereits eine klare und nicht weiter hinterfragbare Antwort beinhalten soll?
Ich meine, uns überkommt eine neue bürgerliche Kälte, die v.a. mit zwei ineinander verschlungenen Prinzipien auf Kriegsfuß steht, so dass sich Sigmund Freud im Grabe herumdrehen würde, könnte er uns hierbei zusehen: Dies ist das Begehren und das ist der Tod. Wer leidenschaftlich lebt, wie ein Dompteur, der verschafft seinem inneren Begehren, nach der Nähe zur wilden Kreatur, einen künstlerischen Ausdruck und bekommt dabei tagtäglich die Endlichkeit der eigenen Existenz vor Augen geführt. Unser zunehmend standardisierter Alltag pocht dagegen auf Nützlichkeit und geht den verletzbar machenden Sinnhorizonten aus dem Weg. Das Heil wird stattdessen in den großen Illusionen von Karriere, Macht und einer asketisch anmutenden Gesundheitsideologie gesucht. Andersdenkende sind in diesem Kontext schlicht und ergreifend ein Störfaktor. Das wussten auch jene, welche der altehrwürdigen deutschen Universität mit Bologna den letzten kritischen Stachel gezogen haben.
Dabei hängt es von dieser mehr oder weniger leidenschaftlichen Grundhaltung zum Leben ab, wie ich über den ästhetischen Wert von Dressuren denke, aber auch, ob ich bereit bin, im Rahmen einer eher zoologischen Auseinandersetzung, Realitäten und auch divergierende Interpretationsmuster zuzulassen, anstatt die Wildbahn zum verloren gegangenen Paradies zu verklären und dem Menschenwerk per se das Sündhafte anzuhängen. Insofern besteht zwischen der Frage nach dem kulturellen Wert von Wildtierdressuren und der Qualität der Tierhaltung tatsächlich ein Zusammenhang, auch wenn dieser in den tristen Kunstfelsen der zoologischen Gärten keineswegs seinen intellektuellsten Ausdruck findet. Denn dieser von mir unterstellte Zusammenhang besteht ja gerade eben nicht darin, künstlerischen Geschmack und Tierhaltungsqualität gleichzusetzen, wohl aber auf Wechselwirkungen hin zu befragen.
Der jüdisch-polnische Pädagoge Janusz Korczak sprach vom Recht des Kindes auf den eigenen Tod. Was das heißen kann, hat der für den diesjährigen Wiesbadener Weihnachtszirkus engagierte Tierlehrer Christian Walliser selber schmerzlich erfahren müssen. Und dennoch ist er, trotz seines fast tödlichen Unfalls, seinem Traumberuf treu geblieben. Dieser Mensch lebt also ein Verständnis von Freiheit, wie sie die heutige Gesellschaft immer schwerer erträgt. Auch der Dompteur Tom Dieck junior hat dies zu spüren bekommen. Dessen beim 38. Internationalen Zirkusfestival in Monte Carlo prämierte Raubtiernummer ist zumindest bei den deutschen öffentlich-rechtlichen Sendern nicht ausgestrahlt worden. In einem offenen Brief an den Mitteldeutschen Rundfunk hat er darum um eine Erklärung gebeten. Der MDR und auch der Bayerische Rundfunk verweisen dagegen auf ein öffentliches Umdenken sowie – und das ist entscheidend – auf die Gefahr des Todes. Das kommt einer Zensur gleich und entspricht ebensowenig meinem Verständnis von einer an Aufklärung interessierten Berichterstattung, wie ich sie insbesondere von den öffentlich-rechtlichen Sendern erwarte.
Insofern stimmt es, dass ein Umdenken eingesetzt hat. Es ist eines, das allen voran keinen Widerspruch duldet. Dass es derzeit vor allem die politische Linke ist, die derartige Strömungen hofiert, macht diese nicht weniger bedenklich, mich aber umso nachdenklicher, wohin die gesellschaftliche Reise derzeit geht. Der Mythos von der unbescholtenen Natürlichkeit und der autoritäre Charakter sind zwei Dinge, die den Deutschen, vor dem Hintergrund eines nicht selten elitären Kulturverständnisses, durchaus zueigen sind. Der zuvor erwähnte jüdisch-polnische Pädagoge Janusz Korczak hat dieses Kulturverständnis mit dem Leben bezahlen müssen, als er in den Vernichtungslagern der Nazis ermordet worden ist. Die derzeitige Hetze gegen die Wildtierdressur im Allgemeinen befördert jedenfalls bedenkliche Parallelen zutage.
Geschrieben von:
Dennis Wilhelm
Erziehungswissenschaftler und Pädagoge aus Frankfurt am Main
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Dennis Wilhelm ist Fördermitglied im Aktionsbündnis „Tiere gehören zum Circus“.
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Veröffentlicht von „der fellbeißer“© (www.fellbeisser.net/news/) am 30.11.2014
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