Ich möchte Ihnen die Geschichte einer Mutter erzählen, die aus einem Gefängnis direkt in den Tod deportiert wurde. Sie ahnte zunächst nichts davon und hatte vielleicht sogar die Hoffnung auf ein besseres Leben in Freiheit. Als sie zu begreifen begann, dass der Ort, an den sie gebracht worden war, ihren Tod bedeutete, begann sie zu kämpfen – so gut sie eben konnte und auf ihre Weise. Nicht nur um ihr eigenes Leben, sondern auch um das ihres ungeborenen Kindes. Sie legte sich auf den harten, kalten Steinboden in einer engen Gasse, die unzählige vor ihr beschritten hatten und die in den Raum des Todes führte. Keine Schläge oder Stromstöße konnten sie dazu bewegen, wieder aufzustehen. Sie rief verzweifelt nach Hilfe und obwohl viele Menschen außerhalb der Mauern ihre Rufe hörten, eilte niemand herbei, um sie zu befreien und vor dem Grauen zu bewahren, das sie und ihr Ungeborenes erwartete. Nach einer scheinbaren Unendlichkeit wurde sie direkt dort getötet, in dieser engen Gasse. Ihr ungeborenes Kind kämpfte noch eine halbe Stunde in ihrem Leib, bevor es elendig erstickte.
Dies ist eine Geschichte, die sich unzählige Male, tagtäglich wiederholt. Es ist das erschütternde Schicksal der Milchkühe, welche trächtig in den Tod geschickt werden. Denjenigen, die sie jahrelang ausgebeutet haben, ist es gleichgültig und in Deutschland gibt es keine ausreichende Rechtssprechung, um dieses grenzenlose Leid zu verhindern.
Ich war gerade erst wieder an jenem Ort, an dem dieses Grauen geschieht. Der Münchner Schlachthof bildet keine Ausnahme. Es lässt einem das Blut in den Adern gefrieren, so kalt ist dieser Ort. Kein Mitgefühl ist dort zu finden, nur der Tod. Jeder Zentimeter bedeutet das gewaltsame Auslöschen unschuldigen Lebens, erzählt von Qual, Schrecken und Grauen.
Während Sie vielleicht gerade eine Minute lang darüber nachdenken, ob ich das Wort „deportieren“ am Anfang der Geschichte verwenden darf, sind ungefähr hundertachtzigtausend Tiere gewaltsam gestorben. In jeder Sekunde werden schätzungsweise drei bis viertausend sogenannter Nutztiere rund um den Erdball ermordet. Wahrscheinlich überlegen Sie jetzt zwei weitere Minuten, dass das Wort Mord eigentlich nur auf den Menschen zu beziehen ist – so hat es schließlich die katholische Kirche und dann die Rechtssprechung bestimmt – weitere dreihundertsechzigtausend Tiere sind soeben gestorben.
Und vielleicht diskutieren Sie später eine halbe Stunde mit einem Freund darüber, ob man den Holocaust überhaupt nur ansatzweise mit der massenhaften Tötung von Tieren für die Fleischindustrie vergleichen darf.
Über fünf Millionen Tiere sind während der Zeit Ihrer Diskussion gestorben.
Ich bin nun schon oft am Münchner oder Buchloer Schlachthof gestanden und allmählich wird es mir gleichgültig, ob man bestimmte Begriffe verwenden darf oder nicht, wenn es darum geht, dieses immense Leid zu beschreiben. Der Schmerz und die Unfassbarkeit sind einfach zu groß. Woran sollen mich denn die wartenden Transporter vor der Schleuse des Todes erinnern? An die normale Realität? Für mich ist es eine unfassbar grausame Absurdität. Ich möchte nicht ein Leid mit dem anderen vergleichen, nein! Aber Leid bleibt Leid, gewaltsames Auslöschen von Leben, das als minderwertig angesehen wird, bleibt gewaltsam ausgelöschtes Leben und bedeutet Unrecht.
Unrecht entsteht, wenn die Rechte eines anderen verletzt werden. Allem voran Grundrechte, wie das Recht auf Freiheit, Leben und Unversehrtheit. Doch die menschliche Definition für Unrecht ist nach wie vor eng gesteckt und bezieht andere Lebewesen in ihr Rechtsverständnis nicht mit ein. Der Mensch hat unter allen Wesen die größte Fähigkeit zu reflektieren und abzuwägen. Und weil er diese Eigenschaft besitzt, trägt er Verantwortung – eine enorm große Verantwortung. Wir sollten uns immer gegen das Unrecht und Leid entscheiden, ganz gleich, welche Lebewesen davon betroffen sind. Wir sollten die menschliche Definition von Unrecht überdenken und die Grenzen erkennen, welche Unrecht legalisieren.
Früher gab es ausgeprägte Formen von Rassismus, ein menschlicher Irrwahn, der leider bis heute nicht vollständig verschwunden ist und viel Leid verursacht hat und immer noch verursacht. Und es gab auch hierzulande eine Zeit, in denen Mitmenschen ein grauenvolles Schicksal zuteil wurde. Die damalige Verblendung, die einem heute noch Kälteschauer über den Rücken jagt und das Herz erschüttert, gehört zur traurigsten deutschen Vergangenheit; der Holocaust, zu dem diese geführt hat, zu einem der furchtbarsten Ereignisse in der Menschheitsgeschichte.
Immer wieder sagen ältere Menschen, sie hätten damals nichts gewusst, es war schließlich eine Zeit der Diktatur.
Die meisten Menschen können heutzutage nicht mehr behaupten, sie wüssten nichts von der milliardenfachen Auslöschung fühlender, Schmerzen, Freude und Leid empfindender Mitgeschöpfe – Bewohner dieser Erde wie wir Menschen. Die Medien berichten ständig darüber. Die Frage lautet also: Wissen wir etwas oder oder fühlen wir etwas? Ansonsten ist es nicht erklärbar, dass der Massenmord an den Tieren nicht längst schlagartig beendet wurde.
Was sind wir denn anderes als menschliche Tiere, die sich im Evolutionsprozess weiter entwickelt haben und jetzt über Fähigkeiten verfügen, welche die Tiere in weniger ausgeprägter Form besitzen? Außer natürlich, man glaubt an Adam und seine Rippe. Ein weiterer katholischer Irrglauben, der im Laufe der Jahrhunderte enorm dazu beigetragen hat, dass sich der Mensch als Krone der Schöpfung sieht und zwar mit allen negativen Konsequenzen, die dies zur Folge hatte und hat.
Es nicht um Gut und Böse oder darum, dass Veganer*innen die besseren Menschen sind; das sind sie nicht per se, es geht nicht um Verurteilung oder um den Kampf, wer denn nun recht hat. Es geht einfach nur um Bewusstsein, das bewusste Erkennen, dass wir alle Geschöpfe dieser einen Erde sind und niemand das Recht hat, einem anderen weh zu tun oder ihn auszubeuten – genauso wenig wie es richtig ist, die Erde selbst auszubeuten und sie zu verletzen. Es geht um das Mitfühlen, um eine Empathie, die scheinbare Grenzen überwindet. Der menschliche Verstand wird immer Mittel, Wege und Rechtfertigungen finden, um das Herz zum Schweigen zu bringen. Das eigene Wohlergehen steht meistens im Vordergrund und es ist unbequem, alte Gewohnheiten und Überzeugungen abzulegen.
Aber wenn wir unser Herz für das Mitfühlen öffnen, kommen wir um das bewusste und fühlende Erkennen nicht umhin: Dass die Tiere unsere Brüder und Schwestern sind und wir als Menschen Verantwortung und Sorge für sie tragen.
Wir leben heute in einer Zeit und in einem Land, wo wir nicht mehr um unser Leben fürchten müssen, wenn wir für die Schwächeren einstehen. Wir haben nicht nur das Recht dazu, sondern auch die Pflicht, friedlichen Widerstand für die Tiere zu leisten.
All diese Lichter hier brennen in Gedenken an die unzähligen Tiere, die für die Fleischproduktion, die Pelz-und Lederherstellung getötet werden, für die Tiere, die in Versuchslaboren leiden und sterben, für die unzähligen Straßenhunde, für Tiere, die in Zirkussen oder Zoos gefangen gehalten werden und für viele, viele mehr. Es sind Lichter des Gedenkens und Lichter der Hoffnung – dass ihr Leiden eines hoffentlich nicht mehr allzu fernen Tages, ein Ende findet.
Redebeitrag am 17.12.2016 anlässlich der Weihnachtsmahnwache in München für alle Tiere.
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