Feiern ist es etwas Schönes und rein theoretisch könnte das Oktoberfest ein schönes Fest sein. Rein theoretisch. Einfach mal fröhlich mit Freunden sein, sich auf eine schwindelerregende Achterbahn wagen oder in eine düstere Geisterbahn: Nicht umsonst lockt die bayerische Gaudi alljährlich Touristen aus der ganzen Welt an, denen das Maßhalten mit der Mass meist schwer fällt, den Bayern ebenso. Allerdings schadet der übermäßige Bierkonsum nur dem eigenen Wohlergehen, Schlägereien natürlich ausgenommen.
Das große Fressen aber verursacht fremdes Leid. Ein Leid an Lebewesen, die wir als Kinder gern hatten: an den dicken behäbigen Ochsen, die in der Ochsenbraterei zerstückelt auf den Tellern landen, an liebenswerten Ferkeln, die als Spanferkel auf der Speisekarte stehen, an den lustigen Schweinen, von denen vor allem die Haxen als bayerisches Schmankerl angeboten werden und an gackernden Hühnern, die in zwei Hälften geteilt, in den Mägen der Besucher landen.
Die bayerische Gaudi wird auf dem Rücken der Tiere ausgetragen – dies sind nur einige Zahlen aus dem Jahr 2014: 112 Ochsen, 48 Kälber, dazu unzählige Enten, Puten und Fische, 20.000 geschätzte Schweine für rund 60.000 Schweinshaxen und 120.000 Schweinswürstel und knapp eine halbe Million Hühner. Immerhin sind die Zahlen gegenüber den Vorjahren bei den Ochsen leicht rückläufig und wenn die Statistiken stimmen, bei den Kälbern stark rückläufig. (bei den Schweinen gibt es nur Schätzungen)
Die riesigen Bierzelte, in denen Musikkapellen fetzige Songs spielen und Leute auf Bänken tanzen, sind eigentlich Leichenhäuser: Tierleichenhäuser. Zwei Wochen lang, jeden Tag: unzählige, zerstückelte Tierleichen, während Menschen feiern und ausgelassen ihre großen und kleinen Sorgen vergessen. Aus dem Getriebe ihres qualvollen und artfremden Lebens ausbrechen, das würden die Rinder, Schweine und Hühner der Massentierhaltungen auch gerne. Doch für ihre Qual gibt es kein Entrinnen, keinen einzigen Tag lang, das Vergessen bringt erst der Tod im Schlachthaus.
Und selbst wenn sie besser gehalten wurden, wie z.B. die rund 120 Ochsen, die im städtischen Gut Karlshof bei München jedes Jahr für das Oktoberfest gemästet werden – wer stirbt schon gerne vor seiner Zeit? Rinder können ein natürliches Alter von bis zu zwanzig Jahren erreichen – was ist da ein halbes gemästetes Lebensjahr, das mit einem angstvollen und gewaltsamen Tod endet? Doch mit dem Wort Bio und guter Haltung wird selbst der blutige Fleischkonsum rosafarben überpinselt und der Verbraucher doppelt abgesichert: Fleisch von glücklichen Tieren schmeckt besser und schließlich hatten sie ein schönes Leben, bevor sie vom Metzger abgemurkst wurden. Warum also ein schlechtes Gewissen haben?
Ja, ich weiß – Veganer sind unbequem und intolerant, sie sind sektiererisch, lästig wie die Fliegen und vermiesen einem sogar ein bayerisches Heiligtum wie das Oktoberfest. Und was täte München ohne das Oktoberfest? Ohne all die Touristen, die in überteuerten Hotels ordentlich Geld dalassen? Ich hätte eigentlich nichts gegen das Oktoberfest; es ist für mich sogar eine schöne Kindheitserinnerung. Aber ich habe etwas gegen Tierleid. Ich habe etwas gegen den anthropozentrischen Herrschaftsanspruch, der sich auf dem Satz ausruht „Der Mensch hat schon immer Fleisch gegessen.“ Und ich habe etwas gegen das Verdrängen und das Vergessen. Ich habe etwas gegen das, was sich hinter dicken Mauern abspielt, gegen den gewaltsamen Tod an unschuldigen Mitlebewesen, deren Hinrichtung die Mehrheit der Bevölkerung niemals beiwohnen würde, weil sie es keine Sekunde ertragen könnte. Das ist das große Vergessen und Verdrängen, welches jeden Tag in dieser Welt auf Kosten der Tiere stattfindet.
Vor den Bierzelten geht die Leichenschau weiter: Steckerlfische sind beliebt und so werden die Fische aufgespießt und geräuchert an den vielen Buden feilgeboten, genauso wie die durchbohrten und geköpften Hühnchen, die auf Eisenstangen ihre endlosen Runden drehen, bis sie braun geröstet sind. Ein Karussell für tote Tiere. Das Tierleid ist damit immer noch nicht zu Ende, denn das Tragen von Tierhaut ist in den letzten zehn Jahren zu einem Hype geworden: Wer von den männlichen Besuchern keine Lederhose trägt, ist nicht „in“. Heutzutage werden Lederhosen und Karohemden sogar von Firmen gemietet, die ihre Kunden zum Stelldichein in die Bierzelte einladen. Ein Stück vom toten Tier als Erinnerung an die Steinzeit? Aber nein: dieser Hype wird als Revival alter Traditionen gefeiert. Zünftig muss es sein, das ist angesagt, trotz aller Modernität – die Blackberrys und IPhones verschwinden einen Abend lang in den Taschen der Lederhosen und werden höchstens hervorgeholt, wenn es darum geht, Fotos vom bayerischen Way of Life zu schießen: von feschen Mädels, den grölenden Massen in den Bierzelten und dem deftigen Essen, das hauptsächlich aus zerteilten Tierleichen besteht.
Es ist sehr erfreulich, dass in einigen Zelten seit 2013 vegane Gerichte angeboten werden. Und so etwas wie ein Trost, wenn man auf der offiziellen Website des Oktoberfests liest, dass der Fleischkonsum seit den letzten Jahren leicht rückläufig ist. Ein Hoffnungsschimmer? Sicherlich, es ist ein Schritt in die richtige Richtung eines Weges, der notwendig geworden ist – aber für jene Tiere, die auch in diesem Jahr wieder ihr würdelos verbrachtes Leben für dieses Fest der Menschen lassen müssen, ist Hoffnung ein bedeutungsloses Wort.
Feiern ja, aber nicht auf Kosten anderer. Und statt sich besinnungslos zu betrinken, wäre es schön, wenn sich die Menschen wieder daran erinnern würden, was da eigentlich auf ihrem Teller liegt und was sie als Kinder empfunden haben, wenn sie ein liebenswürdiges Ferkel gesehen haben oder staunend vor einem gutmütigen Rind gestanden sind.
Die Rechte des Wesens Tier und sein Grundrecht auf Leben, werden von einem Großteil der Menschen vergessen und verdrängt. Nicht nur auf dem Oktoberfest. 365 Tage im Jahr.
Vom 29.9 abends bis zum 30.09. findet vor dem Münchner Schlachthof die 6.Mahnwache mit speziellem Hinblick auf das Oktoberfest statt.
www.facebook.com/events/196306…
im Rahmen der 7.Mahnwachenaktionstage:
www.facebook.com/events/110977…
© Daniela Böhm -aktualisierter Beitrag im September 2016
www.danielaböhm.com
Liebe Daniela, ja, genau das ist es, was wir auch empfinden! Genau deshalb gehe ich seit ich Kind bin nicht mehr auf die „Wies’n“ .
Herzlichen Dank für Deinen sehr eindringlichen Text, den wir auch weiterleiten. Das Problem ist, dass die Mehrheit der Menschen nicht bereit ist sich Gedanken zu unseren Mitgeschöpfen zu machen!! Es wäre so einfach!! Stattdessen verspotten sie lieber diejenigen, die noch Herz und Mitgefühl haben! Dabei ist es das Wichtigste, das wir haben! Alle Tierschützer und tierliebenden Menschen müssen aufpassen bei all dem Elend, das unsere Spezies tagtäglich und absolut verroht den Tieren antut, nicht krank zu werden:-(! –>Massentierhaltung, Tierversuche, Zirkus, Zoos, Delfinarien und auch falsche Tierhaltung (kaum Bewegung uvm.) bei sog. Haustieren.
Alles Gute und weiterhin viel Kraft gegen das Tierelend zu kämpfen!
LG
Anja Marohn & Philipp Fröning
Ich kann mich den Gedanken, die Daniela Böhm hier zum Ausdruck bringt, nur aus vollem Herzen anschließen. Die Wiesn ist mir aus den genannten Gründen in der letzten Jahren auch immer mehr ein Greuel geworden. Man müsste die Besucher bevor sie die Wiesn betreten, einfach durch die Schlachthöfe führen….dann hätten die Bierzeltbetreiber allerdings merklich Umsatzeinbußen zu verzeichnen.
Kürzlich habe ich nochmal den Film „We feed the World“ gesehen, diesen und ähnlich eindringliche Dokumentarfilme zum Thema Tierzucht, Lebensmittelverschwendung, etc. sollte man zum Pflichtprogramm nicht nur an den Schulen, sondern für alle erklären!
Herzliche Grüße und weiterhin so viel Elan und Engagement!
Stefan Schuster
Ein wirklich zu Herzen gehender Text! Daniela Böhm trifft immer wieder mit so großer Kreativität den Ton, der weit über die bloße, nüchterne Sachinformation hinaus tief eindringt. Aus ihren Texten spricht die tiefe, uneingeschränkte Liebe zu unseren Mitlebewesen.
Wer meint, die kalte, rein rationale Wissensvermittlung würde genügen, irrt gewaltig. Daniela Böhms Text enthält nicht nur die harten Fakten, sondern bringt sie so dar, dass sie der Leser nicht nur „registriert“, sondern dass er mitfühlt. Und das ist letztlich entscheidend dafür, dass in den Menschen eine Veränderung möglich wird.
Ich habe gerade den Text gelesen und finde es immer wieder schön wie mit den Tieren als Emotionsträger gespielt wird, die wir als Kinder so gern gesehen haben. Doch darf man eins, wenn ein Artikel objektiv sein sollte nicht vergessen, zu den Ochsen, Schweinen und Kälbern kommen noch viele hunderte Makrelen, Forellen usw.
Es wird immer mit den Emotionen gespielt, doch sollte man dann alles Erwähnen.
Anscheinend haben Sie meinen Artikel nicht ganz zu Ende gelesen, denn auch die Fische kommen darin vor.
Mit freundlichen Grüßen
Daniela Böhm
PS.: Was ist verkehrt an Emotionen? „Und kann, sollte oder muss man, Leid „objektiv“ schildern?
meine Gedanken wurden hier beispielhaft niedergeschrieben. DANKE