Von Hanna Rheinz
Mit den Religionen ist es beinahe so wie in folgendem Missgeschick beschrieben: Geistesabwesend wirft der Zausel seinen Haustürschlüssel in die Buchsbaumhecke neben der Eingangstür, rennt daraufhin aufgeregt zur nächsten Straßenlaterne, um unter deren Lichtkegel fieberhaft die Asphaltstraße nach dem verlorenen Schlüssel abzusuchen. „Der liegt doch im Gebüsch“ ruft ihm der Nachbar zu. „Aber da ist es zu dunkel“ antwortet der Zausel, „hier könnte ich ihn wenigstens sehen.“
Warum es mit den Religionen nicht viel anders ist? Wir verlieren das Unersetzbare an irgendwelchen okkulten Örtlichkeiten und sind heilfroh, es wenigstens noch im Schein einer Laterne suchen zu dürfen. Der organisierte Gottesglaube stattet uns mit der Hoffnung aus, selbst an den finstersten Orten irgendwann einmal das wiederzufinden, was uns verloren gegangen ist. Religionen sorgen für Strohhalme, an denen man sich festhalten kann, um ihre kantianischen Aufkleber zu studieren: Hier harrt die Bedingung der Möglichkeit, den Schlüssel wiederzufinden. Und noch das finsterste Loch ist in strahlendes Licht getaucht.
Einer der dunkelsten Orte, die sich die Zivilisationsgeschichte ausgedacht hat, ist der Ort, an dem Tiere verloren gegangen sind. Es ist das schwarze Loch in unserem Sein. Der Ort, der nichts, mit anderen Worten, das Nichts erzeugt. Der Ort, an dem nicht nur das Tier, sondern unsere Menschlichkeit selbst und zwar ihr wichtigster Teil, zum Verschwinden gebracht worden ist.
Von der ersten großen Kränkung der Menschheit
Wie kommt es, dass Tiere als Mitgeschöpfe so gnadenlos eliminiert worden sind aus unserer Wirklichkeit (unverbindlich kurzlebige Freizeitwelten mit ihren dekorativen Schmuseeinheiten ausgenommen)? Immerhin berichten doch fast alle Religionen der Welt von Schöpfungsmythen, bei denen der Mensch erst nach dem Tier, erst durch das Tier, aus dessen Schoß er hervorkriecht, auf die Welt kommt. In der Bibel heißt es beispielsweise, dass Tiere, anders als Menschen, vollendet erschaffen worden sind, um Seite an Seite mit dem tonangebenden Ebenbild Gottes, dem Menschen, die Erde zu bevölkern. Diese Gleichwertigkeit, die die hebräische Bibel und deren Talmud-Kommentare in nicht ermüden wollender Beharrlichkeit vorträgt, war vermutlich – von Sigmund Freud erahnt – die erste große Kränkung der Menschheit. Zugleich war dies die Geburtsstunde des Reflexes, sich als Mensch fortwährend selbst zum Übermenschen, zum Herrscher über Leben jund Tod einsetzen zu müssen. Der Mensch verbannte die Tiere, denen er eben noch – im Auftrag seines Schöpfers – Namen gegeben hatte; er stufte sie zurück, ließ sie zu Schattenexistenzen werden, zu Arbeitssklaven, zu beliebig manipulierbaren genetischen Clustern, die s zu entziffern und neu zusammenzusetzen gilt. Aus Tieren mit Namen wurde schließlich Biomaterial, für dem Schicksal ausgeliefert, als Neugeborenes an seinem Ende in die Fleischfabrik hineingeschoben zu werden, um ein Leben später auf der anderen Seite als Rindsbratwurst wieder herauszukommen.
Kann und sollte man Tierschutz und Religion gemeinsam behandeln?
Wenn Tierschutz und Religion in einem Atemzug genannt werden, erinnern sich die meisten Tierärzte wahrscheinlich an die unlängst gescheiterte Bundesratsinitiative des Landes Hessen zur Änderung von § 4 a Abs. 2Nr 2 TierSchG, wobei es um strengere Maßstäbe bei Ausnahmegenehmigungen für religiös motivierte betäubungslose Schlachtung ging, und den Einwand der verfassungsmäßig garantierten Religionsfreiheit, der dann letztlich über die Tierschutzanliegen obsiegte. Es ist anzunehmen, dass gerade Akademiker und Naturwissenschaftler das Ansinnen, Tierschutz gemeinsam und im Zusammenhang mit Religion zu diskutieren, nicht selten von sich weisen – dies mit dem Hinweis, man selbst stehe als Anhänger des naturwissenschaftlichen Glaubens an die „Götter Rationalität und Aufklärung“ über diesen Dingen und habe keine Veranlassung, sich mit Fragen wie der Stellung der Tiere in den Religionen zu beschäftigen.
Ist es also richtig, das Thema „Tierschutz und Religion“ als abseitig abzutun? Man bedenke: Immerhin sind Milliarden Menschen Anhänger religiöser Gemeinschaften, und auch in Europa wächst deren Zahl, besonders der Muslime. Dass die christlichen Gemeinschaften so hohe Einbußen, vulgo Kirchenaustritte zu verzeichnen haben, liegt wohl nicht am Fehlen von Gottessuchern, sondern eher an der Tatsache, dass die Kirchen zu lange auf den Ruhepolstern des Staates gerastet haben und dass sie, oft in vorauseilendem Gehorsam, als Ausführungsorgane staatlicher Machtinteressen auftraten, Anpassung und Ruhe forderten, wo Ruhestörung angebracht gewesen wäre, und somit ihren eigentlichen Auftrag, Fürsprecher der Armen und Schwachen zu sein – warum also nicht auch der Tiere? – aus den Augen verloren haben.
Kleinmut hat auch dasjenige Judentum im Griff, welches, anstatt sich seiner Tierschutztraditionen zu besinnen, sich in den Dienst der Politik gestellt hat und schon lange nicht mehr religiöse Inhalte sondern Machtpositionen verteidigt.
An dieser Stelle – dem Schnittpunkt von politischer Macht, Religion und dem Bedürfnis deds Menschen nach spirituellem Wachstum – wird die Frage der Stellung der Tiere in den Religionen für den Tierarzt von immenser Bedeutung.
Warum die Frage nach der Stellung der Tiere in den Religionen wichtig ist
Hier geht es keineswegs nur um die Frage des betäubungslosen Schlachtens, die ohnehin nicht konsequent genug gestellt worden ist. Auch in der öffentlichen Diskussion wurde, haarscharf an den Missständen bei konventionellen Schlachtungen vorbeischlitternd, vor der grundsätzlichen Frage der ethischen Vertretbarkeit von massenhaften Tiertötungen die Bremse gezogen. Hier geht es vielmehr um Folgendes: Die Religionen mit ihrem universalen Anspruch, ethische und moralische Standards zu definieren, müssen sich Fragen nach den Tieren gefallen lassen. Dazu gehört etwa die Frage der Vereinbarkeit religiöser Werte mit
– der Praxis der Nutztierhaltung,
– der Fleischproduktion,
– der Ausmerzung von Tierindividuen und Tierarten,
– der Nutzung von Tieren bei Sport- und Wettgeschäften,
– der Selektion von Tieren bei der Jagd.
Es geht um die Mitverantwortung der betroffenen Berufsgruppen und um die Ökonomisierung tierärztlichen Handelns (wer heute einen Tierarzt für sein krankes Huhn sucht, begreift, welche Folgen die Einführung – und stillschweigende Duldung – der Keulung als neuer „Behandlungsmethode“ für das tierärztliche Know-how hatte). Es geht darum, einmal kritisch nachzufragen, wie es denn bei jenen steht, die von der Heiligkeit des Lebens reden. Sind sie bereit, das Lebensrecht des individuellen Tieres zu verteidigen, egal ob es sich um einen „wertvollen“ Papageien oder um ein „wertloses“ Stück Geflügel handelt?
Das kulturelle Erbe der Religionen an den ethischen Herausforderungen der heutigen Zeit messen zu wollen, ist somit keineswegs ein Akt der Frömmelei. Gerade Tierärzte als „berufene Schützer der Tiere“ und Berufsgruppe von einigem gesellschaftlichen Ansehen, sollten dieses Erbe als ethisches Basiswissen mit hoher gesellschaftspolitischer Relevanz betrachten und vertreten. Nicht der moralisch erhobene Zeigefinger, sondern die von ethischer Kompetenz getragene Faust ist das Ziel.
Was die Religionen uns zu sagen haben
Wenn es um Tiere geht, zeigen in unserer Gesellschaft oft genug gerade die Hüter der Moral und Sittlichkeit einen eklatanten Mangel an Glaubwürdigkeit.
Dies betrifft ebenso die Anhänger der „Tierschützerszene“. Gerade in diesem Umfeld geht der Vorwurf der Empathiestörung, also die Unfähigkeit oder mangelnde Bereitschaft, sich in das Leiden und Empfinden anderer Lebewesen hineinzuversetzen, leicht über die Lippen. Doch oft haben jene, die diesen Begriff im Munde führen, nur eine sehr begrenzte und von wenig Sachverstand geprägte Sicht auf das Leid der Tiere.
Was bedeutet das im wirklichen Leben? Gilt es nicht, endlich dieser kollektiven Schwindsucht, diesem Mangel an Ehrlichkeit ins Gesicht zu sehen? Wir alle dulden stillschweigend, dass hinter der tierfreundlichen Fassade unserer Gesellschaft die Parallelwelten der Fleischfabriken, der industriell organisierten Schlacht- und Produktionskombinate liegen. Hier sind wir. Dort ist die Hölle. Um unseres Seelenfriedens willen wenden wir den Blick ab, verschließen die Augen.
Dabei haben die Religionen und allen noch viel zu sagen, sobald sie sich der Radikalität ihrer Erkenntnisse, dem Mut und der Voraussicht ihrer Propheten und Gelehrten stellen. Zu den aus tierärztlicher Sicht besonders relevanten Positionen der drei abrahamitischen Religionen (Judentum, Christentum und Islam) gehören:
Die Schutzwürdigkeit von Tieren
Hier hat das Judentum eindeutig Stellung bezogen. Bereits in den Fünf Büchern Mose ist ein Verbot der Tierquälerei (Tza`ar baalei chayim) ausgesprochen. Unzählige Tiernarrative demonstrieren den gerechten und mitfühlenden Umgang mit dem Tier. Die Auslegung des Verbots der Tierquälerei geht überraschend weit und zeigt, dass der jüdische Tierrechtsgedanke auf der Grundlage von Visionen eines gerechten Zusammenlebens beruht, die für den moderaten Menschen in ihrer tierrechtsbezogenen Radikalität kaum mehr nachvollziehbar ist.
„So du siehest den Esel deines Hassers erliegend unter seiner Last, und du wolltest unterlassen, es ihm leichter zu machen…mach es ihm leichter“ (Exodus23:5)
Diese Stelle ist bemerkenswert, weil sie die Interessen des Menschen – anders als dies bei der anthropozentrischen Interpretation des Christentums der Fall ist – außer Kraft setzt und das Tier als eigenständiges Rechtssubjekt anerkennt, dessen Wohlbefinden in diesem Gebot höher bewertet wird als das Interesse des Menschen, seinem Feind zu helfen.
Dies übersteigt bei weitem das Gebot, die Heiligkeit des Lebens aller geborenen Geschöpfe zu achten. Das Beispiel fordert Altruismus und verlangt vom Menschen, die eigenen Interessen zugunsten des Tieres hintanzustellen. Überdies beruht das Gebot auf der Annahme der Schicksalsverbundenheit und Gleichwertigkeit von Mensch und Tier. Größer könnte der Unterschied zur hierarchischen Beziehung zwischen Mensch und Tier, die das Christentum vertritt, nicht sein. Die christlichen Kirchen haben sich immer wieder mit Nachdruck auf die eigene Vormachtstellung den Tieren gegenüber berufen. Sie verweigern damit überraschenderweise genau jene Haltung von demütiger Zuwendung (devekut), die mit dem Begriff der Barmherzigkeit in Verbindung gebracht wird. Im Judentum wird diese sogar für Tiere gefordert, und dies bedeutet im Umkehrschluss, wenn Barmherzigkeit (rachamin) nicht auch für ein Tier gezeigt werden muss, wie kann sie dann einem Menschen gegenüber je glaubwürdig sein?
Ein weiterer Aspekt des jüdischen Tierschutzes ist die Anerkennung der seelischen Dimension der Beziehung, die Rücksichtnahme verlangt, ohne Mitleid einzufordern. Wenn ein Tier in Not gerät, ist seine Existenz bedroht und es empfindet Leid und Schmerz. Der Mensch ist aufgefordert im Sinne der Seelenrettung (pikuach nefesch) ein bedrängtes Tier zu retten, sogar wenn das Risiko besteht, dass der Helfer zu Schaden kommt. Eine Güterabwägung ist hier nicht vorgesehen, d.h. der Mensch darf sich gar nicht anders entscheiden, als dem Tier zu Hilfe zu kommen. Unabhängig von den Besitzverhältnissen und selbst, wenn das in Not geratene Tier dem Feind gehört, ist der Mensch zur Hilfe verpflichtet.
Schabbat für Tiere
Das Gebot, dem Tier einen Ruhetag zu gewähren, selbst wenn dies den Ruhetag des Menschen stört, zeigt eine Konsequenz, die – würde man sie auf heutige Verhältnisse projizieren – Rücksichtnahme und Selbstlosigkeit einforderten, die von den Kirchen als unvereinbar mit der Menschenwürde bezeichnet und somit verhindert werden würden. Anders als der oft zaghafte, stets um Selbstrechtfertigung bemühte christliche Tierschutz, zeigt die Radikalität der Jüdischen Tierrechtslehre, wie hoch die Stellung des Tieres im Alten Judentum war.
Umgang mit Nutztieren
Ein weiteres Beispiel für die hohe Stellung des Tieres im Alten Judentum ist der Umgang mit den Nutztieren, der auf dem Verbot der Tierquälerei beruht. Gerade weil die jüdische Tierschutztradition einen so hohen Standard der tiergerechten Nutztierhaltung vertritt, fällt die Kluft zwischen dem eigenen Anspruch und der Wirklichkeit besonders ins Gewicht. Einige der Gebote sollen hier aufgelistet werden:
– „Keine Person darf ein Tier kaufen, Tier oder Vogel, wenn diese Person nicht für das Futter sorgen kann.“ (Jerusalem Talmud Yemavot 15:3)
– „Jüdische Menschen müssen es vermeiden, Federn von lebenden Gänsen zu zupfen, denn es ist grausam dies zu tun.“ (Code of Jewish Law, Even HaEzer 5:14)
– „Wenn Tiere ihre Jungen verlieren, leiden sie großen Schmerz. ES gibt keinen Unterschied zwischen dem Schmerz des Menschen und dem Schmerz anderer Lebewesen.“ (Maimonides, Führer der Unschlüssigen, 3:48)
– „In der kommenden Welt wird Gott jene Reiter strafen, die ihre Pferde mit Sporen verletzen.“ (Sefer Chassidim, para. 44)
Die Frage des Schlachtens
Das jüdische Schlachten ohne Betäubung, die Schechita, ist eine auf biblische uellen zurückgehende Methode des Tötens von Tieren, die nach der Halacha, dem jüdischen Religionsgestz, als zum Verzehr erlaubt bezeichnet werden. In der schriftlichen Tora, den Fünf Büchern Mose und der mündlichen Tora sind Gebote des schonenden Umgangs mit und des schonenden Tötens von Tieren enthalten, welche die Grundlage des jüdischen Tierschutz- und Tierrechtes sind, wie es im Verbot zum Ausdruck kommt, Tieren Leiden zuzufügen (Tza `ar baalei chajim). Hinsichtlich der Ausführung dieses Gebotes sowie der Festlegung eines handwerklichen Regelwerks des Schächtens gilt die Aussage: „Du sollst von deinem Großvieh und Kleinvieh schlachten, so wie ich dir befohlen habe“ (Deuteronomium 12:21). Ziel des jüdischen Tierschutz- und Tierrechtsgebotes ist es gerade nicht, dem Menschen das Töten von Tieren zu erleichtern, sondern im Gegenteil, durch eine Vielzahl von Reglementierungen das Töten, Schlachten, Jagen und Verzehren von Tieren einzudämmen, und dem Tier zugleich das Sterben zu erleichtern, wenn es denn vom Menschen als fleischliche Nahrung bestimmt wird.
Dreh- und Angelpunkt der jüdischen Schechita (ebenso wie der muslimischen Halal-Schlachtung) ist die Frage, wie ein Tier getötet werden kann, damit sein Fleisch nicht „Aas“ und somit unverzehrbar wird. Als deutlichstes Zeichen der Unversehrtheit und Lebendigkeit eines Tieres galt von alters her die Bewusstseinsklarheit. Eine Betäubung war in früheren Zeiten nur zu erlangen durch die Zerstörung von Gewebestrukturen und war somit aus jüdischer Sicht abzulehnen. Durch die Entwicklung neuer Verfahren wie der Elektrokurzzeitbetäubung, die vor oder nach dem Schächtschnitt vorgenommen werden kann, ist eine reversible Bewusstseinstrübung möglich, die das Tier kurzfristig ohnmächtig werden lässt, seine Lebendigkeit jedoch nicht beeinträchtigt.
Die Frage, ob eine Veränderung der Methoden des betäubungslosen Schlachtens mit dem Religionsgesetz vereinbar ist, gehört zu den großen Kontroversen, die nur durch einen Paradigmenwandel lösbar sind. Erst wenn wieder das individuelle Tier im Mittelpunkt steht, das auf die schonendste Weise geschlachtet werden soll, so wie es in den Schriften gefordert wird, wird es möglich sein, die verhärtete Verteidigungsposition zu verlassen und tierschutzgerechte Verbesserungen wie die reversible Elektrokurzbetäubung vor dem Schächtschnitt oder innerhalb eines Zeitfensters von fünf Sekunden danach zuzulassen.
Auf dem Wege dahin ist es wichtig an die ursprünglich vegetarische Kultur des Judentums zu erinnern. Daran nämlich, dass im ersten Schöpfungsbericht eine vegetarische Welt beschrieben worden ist und erst nach der Sintflut der Verzehr von Fleisch erlaubt wurde.
Die jüdische Forderung, die Heiligkeit allen Lebens und aller Lebewesen anzuerkennen, kann als ein jedweder handwerklichen Durchführung übergeordnetes Gebot gelten; zudem fordert sie eine Rückbesinnung auf die Erkenntnisse der jüdischen Tierschutz- und Tierrechtsgebote auch im Fall des Schächtens. Angesichts des industriell organisierten massenhaften Schlachtens von Tieren ist es zwingend notwendig, die Bestimmungen des jüdischen Religionsgesetzes, der Halacha, bzgl. der Rechte der Tiere auf Leben in körperlicher und seelischer Unversehrtheit sowie auf optimale Schonung im Falle des Schlachtens zu erfüllen. Diese sind unverzichtbar Teil der Unantastbarkeit und Heiligkeit des Lebens aller Lebewesen und somit die wichtigste spirituelle Botschaft des Judentums gerade in heutiger Zeit.
Haben Tiere eine Seele?
Während der Jude Jesus vegetarisch und tierfreundlich war, erklärten später die christlichen Kirchen die Tiere zu Antichristen, zu teuflischen Geschöpfen, zu Kumpanen Satans und der Hexen. In Umkehr der Tierfreundlichkeit der Fünf Bücher Mose behaupten sie, die Tiere seien von Gott ausschließlich zur Ausbeutung und zum Nutzen des Menschen geschaffen worden.
Kommen die Tiere in das Himmelreich? Fragen die Christen. Ihre Kirchen verneinen dies immer noch. Für Juden lautet die Antwort sehr überzeugend: Aber sie sind doch schon drin. Tiere als beseelte Lebewesen gelten in der jüdischen Reinkarnationslehre als eine Art postmortales Auffangbecken für die Seelen von Menschen. Auch deswegen ist die Frage des korrekten Schlachtens von so großer spiritueller Bedeutung. Fragen der Freisetzung der Seelen hinein in einen anderen Körper eröffnen nicht nur für das tiergerechte Schlachten überraschende Perspektiven.
Genau diese Beseeltheit der Tiere wird im Christentum und auch im Islam geleugnet. Zwar werden Muslime in Hadith-Sammlungen zur Freundlichkeit Tieren gegenüber ermahnt, da die Schönheit der Tiere Beweis für das Schöpfergenie von Allah sei. Doch hinsichtlich der Bewertung von Tieren stützen sich Muslime wie Christen auf die Hierarchie der Geschöpfe: Demnach folgt auf die unterste Stufe (Welt der Mineralien), das Königreich der Pflanzen, dann das der Tiere, und schließlich der Mensch. Der Mensch besitzt einen Körper, der der materiellen Welt angehört. Seine Seele ist Teil des spirituellen und immateriellen Bereiches und es ist das Ziel der Seele des Menschen, zu Gott zu gelangen und erlöst zu werden, oder wenigstens Engelstatus zu erhalten. Die Tiere gelten hingegen als seelenlos und können im Christentum nicht erlöst werden oder des Ewigen Lebens teilhaftig sein. Da Tiere gemäß dieser Vorstellung keine Seele haben, sind sie außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Kirchen. Auch diese Position, mithin der Ausschluss der „seelenlosen“ Tiere von der Heilswelt, wird vom Islam geteilt.
Auch in anderen Bereichen finden sich Parallelen zwischen Christentum und Islam. Im Judentum etwa ist die Jagd verboten, da sie hier den Tatbestand der Tierquälerei erfüllt. Das Fleisch gejagter Tiere ist nicht koscher, denn es gilt als „gerissen“ und mit als Aas. Islam und Christentum hingegen befürworten die Jagd auch als Methode Tiere zu töten und deren Fleisch zu gewinnen.
Gerade die Leugnung der Beseeltheit der Tiere hat sie im christlichen Abendland und in vielen muslimischen Ländern jahrhundertelang im wahrsten Sinne des Wortes zu Freiwild gemacht, und erst nachdem René Descates´ Theorien der seelenlosen Automaten die Vivisektion zu einem Massenphänomen werden ließen, regte sich angesichts der erdrückenden Evidenz des Leidens der Tiere Widerstand.
Es waren ausgerechnet zwei pietistische Pfarre aus Schwaben, die Zweifel an der Unbeseeltheit der Tiere anmeldeten und zu Gründern der deutschen Tierschutzbewegung wurden: Albert Knapp, Pietist, Pfarrer und Liederdichter und Christian Adam Dann, evangelischer Pfarrer. Letzterer richtete im Jahr 1821 nach dem Anblick eines von Gewehrkugeln durchsiebten Storches einen Appell an die Welt: „Bitte der armen Thiere, der unvernünftigen Geschöpfe, an ihre vernünftigen Mitgeschöpfe und Herrn, die Menschen.“
Später dann trat als Ausnahmeerscheinung Albert Schweitzer mit seiner Ethik der „Ehrfurcht vor dem Leben“ auf. Überraschenderweise wird der Christ Albert Schweitzer seither gerade von der Fraktion der atheistischen und religionsverachtenden Tierschützer vereinnahmt, die sich über dessen christliche Wurzeln offenbar nicht im Klaren sind oder aber die falschen Schlüsse daraus ziehen.
Die Frage: „Kommen Tiere in das Himmelreich“ werden die beiden o.g. schwäbischen Tierschützern vermutlich verneint haben, ebenso wie wahrscheinlich die Ausnahmegestalt des Katholizismus, Franz von Assisi. Zwar wurde dieser auch wegen seiner begnadeten spirituellen Fähigkeiten „mit den Tieren zu reden“ heilig gesprochen, doch sein Einsatz für den weltlichen Schutz der Tiere steht weiterhin im Schatten und wird allenfalls in anekdotischer Form und als Nebensache dokumentiert. „Alle Gebilde der Schöpfung“, erläutert Franz von Assisi, „sind Kinder eines Vaters und daher des Menschen Brüder. Gott wünscht, dass wir den Tieren beistehen, wenn sie der Hilfe bedürfen. Ein jedes Wesen in der Bedrängnis hat gleiches Recht auf Schutz“. Diese als „Magna Charta der Tiere“ bezeichnete Weisung des Franz von Assisi wartet noch immer auf ihre Umsetzung.
Die Zaghaftigkeit des christlichen Tierschutzes beruht auch auf der künstlich erzeugten Konkurrenzsituation zwischen Mensch und Tier. Das Gegeneinander-Ausspielen von Tierschutz und Menschenliebe ist ein Kennzeichen der kirchlichen Haltung bis auf den heutigen Tag. Dem Tier Zuwendung und Sorge schenken, ist nach Meinung vieler Kirchenoberen gleichbedeutend damit, dem Menschen, womöglich den Kindern, Zuwendung und Sorge zu entziehen.
Das negative Tierbild der Kirchen wirkt noch immer
Zum religiösen Brauchtum gehört es immer noch, Tiere durch Ortschaften zu treiben, zu schlagen, zu quälen und schließlich zu töten.
Die Katholische Kirche hat bis auf den heutigen Tag ihr negatives Tierbild nicht überwunden. Es wird mit gewissen Stellen im Neuen Testament in Verbindung gebracht, die das Tier als teuflisch, als Inkarnation des Bösen, als dämonischen Versucher und Verführer erscheinen lässt. Die Grausamkeiten, zu denen diese Haltung ermutigte und Tiere millionenfach zum Opfer von Aberglauben, Wut, okkulten Todesritualen werden ließ, sind noch immer Bestandteil des so genannten kulturellen Erbes des Abendlandes, wozu Tierkämpfe ebenso wie die Jagd zählen.
Die Kirchen haben sich hier jahrhundertelang und trotz ihrer Lehre der Gottesebenbildlichkeit des Menschen zu Komplizen von Täterpersönlichkeiten gemacht, deren Perversionen noch immer – und wie es scheint in wachsendem Maß – zum alltäglichen Umgang mit Tieren gehören. Tiere werden hier zu Opfern und ihr Opferstatus wird mit kirchlichen Ritualen (wie beispielsweise den Hubertusmessen) legitimiert. Dass auch der Umgang mit den Nutztieren in den von den christlichen Religionen beeinflussten Ländern zu exzessiver Ausbeutung geführt hat, steht in dieser Tradition der Tierverachtung. Dabei wurde das grundlegende Tierbild auch dadurch nicht verändert, dass die katholische Volksfrömmigkeit auch Elemente der Sorge enthält, die sich besonders im bäuerlichen Umfeld, z.B. mit den Segnungen des Viehs, den Leonhardi-Ritten oder den für Tiere zuständigen Heiligengestalten zeigt.
Auch der Katechismus der Katholischen Kirche aus dem Jahr 1997 setzt die traditionelle Tierverachtung und Tierfeindschaft fort. Obwohl die Diktion nun auch (gemeinsam mit dem Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands) den Grundsatz der „Fürsorge und Verantwortung“ für die Natur enthält und damit die traditionelle Herrschaft des Menschen über die Natur ergänzt, ist das Gewaltverhältnis zwischen Mensch und Tier festgeschrieben worden. Bis auf wenige Ausnahmen, etwa die fortschrittliche Tierschutzerklärung der Nordelbischen Kirche, gilt für die Haltung der christlichen Kirchen weiterhin das vom Kirchenkritiker Carl Anders Skriver im Jahr 1967 geprägte Wort des „Verrats der Kirchen an den Tieren“. Verrat bezieht sich hier auf das Phänomen, dass die Gründergestalt des Christentums, der Jude Jesus, als Vegetarier und Kritiker des Schlachtens der Tiere gilt, diese Tradition jedoch jahrhundertelang systematisch verleugnet und entstellt worden ist.
Innerhalb der Kirchen haben sich allerdings in den letzten Jahren Tierschutzbewegungen entwickelt, z.B. Aktion Kirche und Tierschutz (AKUT), die sich für eine Veränderung des traditionellen Tierbildes der Kirchen einsetzen und den Tierschutz zu einem zentralen Anliegen des Christentums erklären.
Die Gottesebenbildlichkeit ist eine geniale Metapher zur Erklärung der menschlichen Natur. Dass der Blick des Menschen in den Spiegel zunehmend das zerstörte Antlitz der Erde zeigt, und nicht mehr das verlorene Paradies, dass Gottes vollkommene Geschöpfe (s.o.) heute milliardenfach als Biomaterial missbraucht werden und keinen Namen tragen dürfen, all dies zeigt den Endpunkt einer Entwicklung, an denen gerade die Religionen durch Förderung, Komplizenschaft, stillschweigende Duldung und Wegsehen einen maßgeblichen Anteil haben.
Werden die Enkel Abrahams die Kraft haben, in das zerstörte Antlitz der Erde zu blicken, das nicht länger übersehen werden kann? Es war ja gerade diese Leichtigkeit der Ausbeutung von Tieren, die die Menschheit an den Punkt geführt hat, an dem sie erkennen muss, dass ihre Lebensgrundlage, der Planet Erde, sich als Folge der immensen Eingriffe in einer Weise verändert, die Zweifel daran aufkommen lassen, dass es noch eine Zukunft gibt. Es ist an der Zeit, an den biblischen Vegetarismus zu erinnern und an die keineswegs utopischen Visionen des Propheten Jesaja über den Frieden zwischen allen Arten.
Einen ethischen Umgang mit den Tieren wiederfinden
Kann unser Mitgefühl für ein kleines Vögelchen dazu führen, dass der Messias kommt? Wird der Baum des Lebens, in dessen Schatten die beiden Löwen des Stammes Jehuda lagern, für alle Kinder Abrahams je zum Inbegriff der Heiligkeit des Lebens, auch des Lebens der Tiere, werden? Dass die Religionen und Kulturen voneinander lernen können, zeigt der Umgang mit der Nahrung. Alle drei abrahamitischen Religionen verbinden die Nahrungsaufnahme mit spirituellen Aussagen. Dass gerade der Nahrungsaufnahme eine spirituelle Bedeutung zukommt, ist Teil des verdrängten kulturellen Erbes der Völker. So heißt es im Talmud „Die Speisetafel des Menschen ist wie ein Altar“ (Chagigah 27a). Die Heiligkeit des Lebens stellt sich dar als Heiligkeit des von Gott gegebenen Körpers, der von Gott gegebenen Seele; sie wird durch die Reinheit der aufgenommenen Nahrung gesichert, die wiederum Abbild der der Ordnung der Tierarten ist. Die jüdischen Speisegesetze, die in Gestalt von Kaschrut (die Trennung der Nahrung in milchig und fleischig) und Schechita verschiedene Stadien der Reinigungsprozesse durchlaufen, sind somit ein unverzichtbarer Bestandteil des religiösen Ritus. Die Spiritualität findet hier im täglichen Leben statt.
Es gibt zwischen den Religionen eine Reihe von Parallelen als auch Unterschiede betreffs der Bewertung Tiere, die einen Dialog sowohl verhindern, ihn aber gleichermaßen auch auf den Weg bringen können. Erschwerend ist, dass die Religionen in ihren Bewertungen und Symbolen oft gegensätzlich sind. Dies gilt auch für die Frage des Tieropfers. Anders als das Judentum, das die Tieropfer mit der Zerstörung des Zweiten Tempels abschaffte, setzt der Islam die Tradition des Tieropfers fort mit dem Ziel, auf diese Weise die Unterwerfung des Menschen unter den göttlichen Willen zu demonstrieren. Dem Gebot der Wohltätigkeit folgend, nach der das Fleisch der zum Opferfest geschlachteten Opfertiere an Arme ausgeteilt werden muss, soll das Tieropfer die Fürsorge der Muslime füreinander zum Ausdruck bringen.
In Anbetracht der unerkannt bleibenden Qualen, die den Tieren millionenfach in den Parallelwelten der modernen Fleischfabriken widerfahren, erleben viele Muslime der westlichen Öffentlichkeit den Aufschrei der angesichts des öffentlichen betäubungslosen Schlachtens durch Laien beim Muslimischen Opferfest als heuchlerisch. Andererseits wächst auch unter den Muslimen die Kritik an den Tieropfern, die als nicht mehr zeitgemäßes Mittel der Gottesverehrung bezeichnet werden.
So konstatiert z.B. Abd al-Rahman al-Kalud, ein Mitglied der Akademie für Islamische Forschung: „Der Heilige Koran sagt mit klaren Worten, dass der Schöpfer das Opfer nicht als Selbstzweck wünscht, sondern als Symbol der Verehrung des Menschen für Gott wie es im Koran heißt: „Weder ihr Fleisch noch ihr Blut erreicht Allah, jedoch erreicht Ihn eure Frömmigkeit“ (Koran 22:37). Diese Sure lehrt eindeutig, dass das Opfer nicht als Opfer ein wesentlicher Teil der Religion ist, sondern durch den Akt der Wohltätigkeit und um die Armen zu bereichern.
Trialog zwischen Christentum, Islam und Judentum
Trotz aller bestehenden Differenzen gab es in den letzten Jahren hinsichtlich des betäubungslosen Schlachtens erfreulicherweise Annäherungen zwischen einigen muslimischen Verbänden und den Tierschützern. Auf jüdischer Seite fehlt jedoch leider auf der Ebene der Repräsentanz noch immer der Ansprechpartner. Trotz der Vorreiterrolle des jüdischen Tierschutzes fällt mithin die jüdische Gemeinschaft als Bündnispartner in Sachen Tierschutz nahezu komplett aus. Obwohl viele jüdische Menschen Unbehagen an der Schächtpraxis äußern und schockiert sind über die Zustände in den Schächtbetrieben der europäischen Nachbarländer und obwohl von den Schächtern selbst eine hohe Burnout-Rate berichtet wird, tun sich die Repräsentanten schwer damit, die Praxis des betäubungslosen Schächtens etwa durch Übernahme der reversiblen Elektrokurzzeitbetäubung zu verändern.
Neben den auf europäischer Ebene wichtigen machtpolitischen Erwägungen, verhindern psychologische Faktoren eine Umsetzung tierschutzgerechter zeitgemäßer Schlachtmethoden. Gerade in Deutschland will man nicht den Eindruck erwecken, , am Ende doch noch klein beigegeben zu haben. „Hitler soll hier keinen späten Triumph feiern“, ist die Haltung der Repräsentanz, die einen auch international wirkenden Image-Schaden fürchtet. Unvergessen ist, dass die NS-Gesetzgebung jüdische Menschen nicht nur dazu zwang, die eigenen Speisegebote aufzugeben, sondern auch ihre Heimtiere im Stich zu lassen, um nur wenige Jahre später selbst „wie Tiere“ verfolgt zu werden und getötet zu werden. Erst wenn diese erstarrten Abwehr-Positionen überwunden sind, die indirekt und ungewollt eine Fixierung auf die Verfolgungsgeschichte bewirkt haben, können sich Jüdinnen und Juden ihrer so zukunftsweisenden, visionären Tierschutztraditionen bewusst werden und sie hier und heute wieder mit neuem Leben erfüllen.
Immerhin war und ist das Judentum die einzige religiöse Kultur, die ein Verbot der Tierquälerei sowie zahlreiche Tierschutz- und Tierrechtsgesetze erlassen hat, aus religiösen Gründen, nicht als Ergebnis des säkularen Tierschutzes. Israel gehört heute zu den tierfreundlichsten Ländern der Welt; der Anteil der Vegetarier an der Bevölkerung ist hoch , die Jagd ist verboten und das mehrfach überarbeitete Tierschutzgesetz verbietet u.a. die Produktion von Gänsestopfleber und zahlreiche Tierschutzorganisationen setzen sich dafür ein, das Elend der Straßentiere zu lindern, um nur ein Beispiel zu nennen.
Im Trialog zwischen Christen, Islam und Judentum könnten die spirituellen Erwartungen thematisiert werde, die Menschen mit ihrer Religion, ihrer Nahrung und ebenso mit der Stellung der Tiere verbinden. Hierzu gehört die ethische Zielsetzung, dass es für Judentum, Christentum und Islam wichtig werden sollte, unter welchen Bedingungen das Tier lebt, dessen Fleisch gegessen werden soll, und unter welchen Bedingungen es am Ende getötet wird.
Dr. Hanna Rheinz erreichen Sie über HannaRheinz@aol.com.
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Die Veröffentlichung im fellbeißer erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Autorin.
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Übersandt von:
TierklinikHH@aol.com (17.08.2009; 20:56 Uhr)
www.kritische-tiermedizin.de
www.das-tierhospital-hamburg.d…
Für mich soll überhaupt kein Tier getötet oder auf irgendeine Art gequält werden.
Hauptsache ich hab mein Fleisch!