„Immer noch werden Hexen verbrannt, auf den Scheiten der Ideologien“. Dieser im politischen Sinne übertragene Satz aus dem Lied „Hexeneinmaleins“ von Konstantin Wecker fiel mir vor ein paar Tagen wieder ein. Irgendwie ging er mir nicht mehr aus dem Sinn, und während ich über das Lied nachdachte, beschäftigte mich auch die Frage, auf welchen ideologischen Scheiterhaufen Milliarden von Tieren ihr Leben lassen müssen?

Der Viktualienmarkt in München an einem kalten und windigen Apriltag. Mit meiner Freundin Janett habe ich mich zu einer spontanen Aktion vor den im Übermaß vertretenen Metzgereien verabredet. Es soll eine stille und leise Aktion mit Bildern werden, um den Menschen jene Lebewesen ins Bewusstsein zu rücken, die sie zerstückelt, scheibchen- oder kiloweise und fein säuberlich verpackt, aus den Metzgerläden heraustragen.
Drei Schilder sind es, wechselseitig verwendbar, mit insgesamt sechs verschiedenen Bildern und Texten. Doch bei allen geht es um das Gleiche: Das Recht der Tiere auf Leben.

Der erste Metzger will uns sofort vertreiben und fordert mich durch das geöffnete Ladenfenster mit Handzeichen auf, zu ihm herzukommen. Ich leiste dieser Aufforderung keine Folge, denn mit Befehlen kann ich nichts anfangen und schon gar nicht mit denen eines Metzgers. Es entwickelt sich eine rege Diskussion über die Köpfe der Passanten hinweg. Ob wir eine Genehmigung hätten? Wir brauchen keine, erwidere ich, wir sind nur zu zweit. Tote Tiere verkaufen, ja, ihr Leid zeigen, nein?
Vor jedem Geschäft bleiben wir ungefähr acht bis zehn Minuten stehen. Ein anderer Metzgermeister verlässt seinen Laden und gesellt sich mit einer Zigarette zu uns her. Mit einem amüsierten und gut gelaunten Gesichtsausdruck betrachtet er sowohl uns als auch die Bilder. Kaum ein Passant bleibt stehen. Die Menschen blicken kurz auf unsere Schilder, schauen sofort wieder weg und laufen weiter. Was dabei in ihren Köpfen vorgeht, kann man bei den meisten nicht erraten. Doch bei vielen, gerade denen, die aus den Metzgereien kommen, sehe ich die Ignoranz: Nicht wissen wollen, nicht wahrhaben möchten, ausblenden – selbst beim Anblick eines noch lebenden Schafes, das über den blutverschmierten Boden eines Schlachtraums gezerrt wird. Ignoranz als Ideologie?

Einige Menschen halten aber doch inne und nehmen sich kurz Zeit, die Aussagen auf den Schildern zu lesen. Und einige unter ihnen greifen sogar zu einer der pro vegan Broschüren, die meine Freundin vorsorglich eingesteckt hatte; immerhin. Nur vereinzelt fliegen uns anerkennende Blicke zu. Kopfschüttelnd betrachten wir drei dänische Frauen, die sich vor der Auslage eines Fleischerladens mit Weißwürsten fotografieren lassen und uns dabei lachend ansehen. Wir wundern uns, braucht es Sprachkenntnisse, um unsere Bilder zu verstehen? Vor einer anderen Metzgerei stehen die Leute Schlange, dort gibt es Leberkäse oder andere belegte Semmeln. Kauend blicken einige beim Verlassen des Ladens auf unser Bild mit dem geschlachteten Rind, welches in einer Blutlache liegt. Zwischen einem jungen Polen und mir entwickelt sich ein kurzes Gespräch auf Englisch. „Sie sterben für uns“, meint er und deutet mit seiner Leberkässemmel auf das Bild, „aber nicht so, sie werden vorher betäubt.“ Ich frage ihn, warum die Tiere für uns sterben sollten? „Der Mensch braucht Fleisch“, sagt er mit vollster Überzeugung. Ich erwidere höflich, dass das nicht stimmt. Eine weitere Ideologie bzw. Weltanschauung, die weit über das düstere Mittelalter der Hexenverbrennungen hinausreicht.
Welche Ideologien sind es noch, frage ich mich, die ein System stützen, das den Milliardenfachen Mord an Tieren rechtfertigt? Mit Sicherheit eine Weltanschauung, die den Menschen als das Maß aller Dinge sieht und in der Folge die Rechte anderer Lebewesen ignoriert. Aber auch ein kapitalistisches System, das die durch Massentierhaltung bedingte ökologische Katastrophe, auf die wir zusteuern, in Kauf nimmt.
Der bekannte Satz von Isaac Bashevis Singer (Nobelpreis für Literatur) drängt sich mir bei dieser Beschäftigung mit den Ideologien auf: „Für die Tiere ist jeder Mensch ein Nazi … für die Tiere ist jeden Tag Treblinka.“
Nach ungefähr zwei Stunden beenden wir unsere kleine Aktion. Verständnisvoll meint meine Freundin Janett, dass die meisten eben noch nicht bereit sind für eine Veränderung ihrer persönlichen Ideologie des Fleischkonsums. Die Frage ist nur: Wie lange können wir auf diese Veränderung noch warten?
„Der Freigeist geht um, alle sind sie aufgeklärt, doch wer weiß Bescheid?“ Hexeneinmaleins, Konstantin Wecker.
Kaum jemand kann in unserem aufgeklärten Land heutzutage noch leugnen, dass er nichts gewusst hätte von diesem „Treblinka der Tiere“. Zeitungen und Fernsehen berichten ständig darüber, doch … wo bleibt das Tun, wo ist sie, die Veränderung im eigenen Handeln, das Infragestellen der eigenen oder einer angenommenen Ideologie? Wofür man, wohlgemerkt, nicht mehr wie einst um sein Leben fürchten muss. Wann, frage ich mich, erreicht das Erbarmen und das Mitgefühl endlich die Herzen der Fleischesser und macht Schluss mit falschen Ideologien?

www.danielaböhm.com

Quellenangabe Zitat Isaac Bashevis Singer :
www.tierrechte-bw.de

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

wp-puzzle.com logo